Der Kunde ist König


Als ich heute morgen meinen Computer einschalten wollte, gab dieser nur noch ein müdes Knistern von sich, der Bildschirm flackerte noch einmal kurz auf und hüllte sich dann in tiefschwarzes Schweigen. Es war nicht so, dass ich nicht damit gerechnet hätte – seit unserer Rückkehr funktionierte der Computer nur noch unwillig aber da er immerhin noch funktionierte wollte ich nicht sofort an eine Reparatur oder gar einen Neuen denken.

Nachdem ich herausgefunden hatte, dass die Reperaturkosten den Preis eines neuen Computers noch überstiegen, machte ich mich auf dem Weg zu Darty, einem Elektrogrosshändler bei dem wir schon einmal eine Herdplatte gekauft hatten, die nach einer Woche nicht mehr funktionierte, aber jeder verdient eine zweite Chance und ausserdem war es das einzige Geschäft in der Nähe, dessen Produkte noch bezahlbar sind.

Die Computerabteilung befand sich in einem dunklen Kellerraum und der einzige Verkäufer war hinter seinem Tisch eingeschlafen. Es war gar nicht so einfach, ihn zu wecken, um ihm das gewünschte Model zu zeigen. Schliesslich schlurfte er dann doch lustlos hinter mir her und zählte dabei die Dokumente auf, die jemand vorlegen muss, der bei Darty einen Computer auf Raten kaufen will.

Gemeinsam mit Siavosh kehre ich am selben Abend zurück, mein Scheckbuch, meine Bankverbindung, meine Visa-Karte, alles habe ich dabei. Die Verkäuferin, ein quirliges Persönchen mit ungefähr einem halben Liter Make-Up im Gesicht schaut sich all diese Dinge an und runzelt die Stirn. (Ich muss dazu erklärend hinzufügen, dass ich eigentlich nie irgend etwas per Scheck bezahle und deshalb seit ungefähr 8 Jahren dasselbe Scheckbuch besitze. Die dort angegebene Adresse ist längst nicht mehr aktuell, noch nicht einmal mehr der Nachname).

„Das geht so aber nicht“, erklärt sie mit vorwurfsvollem Unterton, „wir brauchen mindestens ein schriftliches Dokument, in dem die neue Adresse erwähnt wird, haben Sie nicht vielleicht eine Strom- oder Wasserrechnung bei sich, irgendwas?“

Zwar trage ich meine Strom- oder Wasserrechnungen normalerweise nicht mit mir herum, aber inzwischen ist ja alles per Internet ganz einfach von überall her zugänglich und man muss sich lediglich in sein Kundenkonto einloggen und den Beleg ausdrucken. Wenn der Computer, das Internet und der ganze Rest denn funktionieren. Der Computer der Schminkmaus funktioniert nicht, der ihrer Kollegin funktioniert immerhin, dafür stimmt aber etwas mit ihrem Drucker nicht. Nachdem wir meine Rechnung ein paar mal erfolglos zwischen den verschiedenen Computern hin und hergeschickt haben und das anfangs noch zuvorkommende Lächeln der Kollegin einer steifgefrorenen Maske gewichen ist, geben die beiden schliesslich auf. Letztendlich haben sie ja gesehen, dass die angegebene Adresse stimmt, auch wenn man sie nicht ausdrucken kann.

„Schön. Dann beantworten Sie uns zum Schluss bitte noch einige Fragen: wie lange wohnen Sie schon hier, was zahlen Sie an Miete, was verdienen Sie monatlich, erhalten Sie staatliche Unterstützung und wenn ja, wie viel, haben Sie zur Zeit laufende Kredite?“

An dieser Stelle unterbricht Siavosh sie und fragt, ob eigentlich irgendjemand diese ganzen Angaben überprüfen kann. Die Schminkmaus schüttelt den Kopf. Ich erfinde mir also ein vollkommen unrealistisches Gehalt und eine Erbschaft, sie tippt das alles eifrig in ihren Computer. Paris, Stadt der Träume.

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Das Feuer


Das Feuer

Das Klingeln des Telefons zerreisst den regnerischen Nachmittag. Am anderen Ende ist Aglaïa, die mich aus der Schweiz anruft, Aglaïa mit ihren strahlend blauen Augen und dem blonden Lockenhaar, in ihrer Stimme lodert das Feuer ihrer Vorfahren aus den Weiten der Puszta. Aglaïa, sie folgte den Versprechungen von einem Exil ins nächste, immer kurz davor, das Glück mit ihren Fingerspitzen kurz zu berühren.

Nun ruft sie mich an, nach über einem Jahr und erzählt mir von Liebe, der einzigen, grossen, wahren Liebe. Diese sei ihr in Gestalt eines Engels mit dunklen Locken und feurigem Blick in einer Bar erschienen, so sanft, so unglaublich sensibel… von Beruf ist der schöne Jüngling Börsenmakler, dabei allerdings ein unglaublich ehrlicher Mensch…

Sie hat sich fallenlassen, mitreissen in einen Traum von glitzernder Schönheit… wir kamen aus der Bar, du musst das verstehen, ich bin gewiss kein leichtes Mädchen aber du ahnst nicht, wie weich seine Haut ist… ja ich weiss, er ist 10 Jahre jünger als ich, in einem Monat, vielleicht schon in einer Woche wird er mich achtlos wegwerfen, doch bis dahin wird er mir Momente des wahren Glücks gegeben haben… es wird dauern, so lange es dauern mag, so ist nun einmal diese Welt, alles ist so flüchtig, so vergeblich…

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Ein Wiedersehen


Warten. Die schmalen Bänke im Saal mit der Aufschrift « Asien – Ozeanien » sind hart und unbequem und es sitzen dort viel zu viele Leute. Menschentrauben drängen sich um die wenigen offenen Schalter wie die Tauben im Hof um einige heruntergefallene Brocken Brot. Vor dem ersten Schalter sitzt eine zierliche Vietnamesin. Ihr Gesicht ist starr wie eine Maske, doch aus ihren Augen rinnen stille Tränenströme, es ist als fliesse das ganze chinesische Meer über ihre zarten Wangen und kann doch das Feuer in ihrem Herzen nicht löschen.

Ein uniformierter Beamter versucht sie zu beruhigen, gibt jedoch schliesslich auf. So viele Tragödien, die sich hier jeden Tag abspielen, so viele unbekannte Schicksale, die an den Felsen der standhaften Bürokratie zerbrechen. Ich spüre den unsicheren, schwankenden Boden unter meinen Füssen wie ein schmales Floss, von den Wellen des wilden Stromes hin und hergeworfen. Sehr schnell kann man untergehen in diesem Leben.

Siavosh wirft immer wieder nervöse Blicke auf seine Armbanduhr. Abbas, einer seiner ehemaligen Arbeitskollegen ist auf dem Weg nach Mailand, wo gerade eine internationale Tourismusmesse stattfindet, unterwegs will er in Paris übernachten. Wir haben ihm versprochen, für ihn ein Hotel zu suchen. Er soll um 15 Uhr am Bahnhof sein und jetzt ist es schon 14 Uhr 30 und es sieht nicht so aus, als ob sich in nächster Zeit irgendjemand hier um uns kümmern wird.

« Am besten gehst du schon mal zum Bahnhof, Abbas suchen », meint Siavosh schliesslich, « ich komme dann nach, sobald ich hier fertig bin. »

Ehrlich gesagt kann ich mich kaum noch an Abbas erinnern, ich habe ihn in Shiraz auch nur ein einziges Mal gesehen. Er hat mir damals einen Stein mit einem zoroastrischen Schutzengel darauf geschenkt. Ratlos schaue ich mir die Reisenden an, die nacheinander aus dem gerade eingefahrenen Zug strömen. Ein kleiner, kahlköpfiger Mann mit einem enormen Paris Reiseführer unterm Arm winkt mir zu. Das muss Abbas sein. Er hat mich sogar ohne Kopftuch erkannt.

Wir setzen uns in ein kleines Café vor dem Bahnhofsgebäude und ich erkläre ihm, dass Siavosh noch bei der Ausländerbehörde auf die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung wartet. Das Café ist dunkel und kalt, mit wackligen Tischen und hässlichen, orangefarbenen Kunstlederbezügen an den Stühlen. Ich bestelle einen Espresso und Abbas einen Whisky zu einem erstaunlichen Preis (Der Kellner nutzt die Gelegenheit, als mein Handy klingelt und sagt zu Abbas : « Sorry, this is change of service, you have to pay now. »)

Am Telefon ist Siavosh und erklärt mir, dass er jetzt fertig ist, das ganze hat ein bisschen länger gedauert und zuerst wollten sie ihm die Papiere nicht verlängern, aber nachdem er dann ein bisschen rumgeschrien hat, waren sie doch einverstanden und haben ihm eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr versprochen.

Gemeinsam mit Siavosh suchen wir schliesslich nach einem Hotel für Abbas, der wissen möchte, ob man bei den Preisen handeln kann. Wie wir dann feststellen kann, sind die Preise nicht nur nicht verhandelbar, es gibt auch gar keine freien Zimmer, noch nicht einmal in den heruntergekommenen Absteigen rund um den Bahnhof. Langsam kriecht die Dunkelheit aus den Ecken der Stadt und frisst das Ende des Tages.

Schliesslich finden wir doch noch einen Platz in einem Hostel, das « Le Montclair » heisst. Dort muss man sich die Zimmer zwar mit fünf anderen unbekannten Personen teilen, aber wenigstens gibt es ein Bett zum Schlafen. Der kanadische Student an der Rezeption ist gerade dabei, vier amerikanischen Touristen zu erklären, wo sie Geld umtauschen können, ohne dabei beschissen zu werden. Als er Abbas sieht, geht ein Leuchten über sein Gesicht: « Abbas, das kann doch nicht wahr sein! Erinnerst du dich? Du warst mein Reiseführer in Isfahan vor zwei Jahren! »

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Du fehlst mir


Ich kannte dich kaum und doch wurde durch dein Fortgehen eine Stelle in meinem Herzen leer und wund. Ich spüre wie du nun den klaren Duft der Blumen atmest, im Schatten des dichten Laubwerks, die Wiese zu deinen Füssen. Ein sanfter Wind spielt in deinen dichten braunen Locken. Du spürst die Schmerzen nicht mehr, deine Seele ist frei und leicht im Meer der Blumen. Ich weiss, dass du glücklich bist, doch wie schwer ist es für uns, die du uns in dieser Welt zurückgelassen hast.

Du hast eine Gruppe Reisender durch die nördlichen Berge geführt, wie schon so viele Male zuvor. Gemeinsam durchquertet ihr den dichten Hochwald und das Atmen wurde dir schwer, da war dieser stechende Schmerz in deiner Brust und du verstandest die Zeichen nicht, wolltest vielleicht auch nichts sagen, denn seit langem war dies die erste Reisegruppe im Iran, du wolltest sie nicht enttäuschen, wolltest die Bergtour, die dein Reisebüro dir anvertraut hatte, zu Ende bringen, warst du doch eine der erfahrensten Bergführerinnen.

Drei Tage und drei Nächte bist du in der Kälte der Berge geblieben, du hast versucht, die Schmerzen mit Opiumtabletten zu betäuben. Man sah da Leiden nicht auf deinem hübschen Gesicht, doch dein Körper war schwach und schliesslich brachte man dich in ein kleines Spital am Waldsaum. Die von Europa und den Vereinigten Staaten auferlegten Sanktionen lassen keine Medikamente mehr in Land und die Ärzte hatten nichts, wa sie dir geben konnten, nur ein paar chinesische Salben und Kräuter, die keine Wirkung zeigen.

Man entschied, dich nach Teheran zu bringen, die Nacht war schwarz und dichter Nebel umgab dich und griff nach dir mit klammen Fingern, siehst du nicht die sternenklare Königin? Sie kommt. Sie kommt. Es sind die Lichter der fernen Stadt, bleibe ruhig, mein Engel, mein Vögelchen bald sind wir da, bald bist du in Sicherheit.

Der Verkehr war dicht, trotz der frühen Morgenstunde, sie brachten dich nicht schnell genug, konnten den kleinen Vogel deiner Seele nicht zurückhalten, als er aus deinem Mund schlüpfte, seine Flügel ausbreitete und in die silberne Morgendämmerung entschwand.

Deine Freunde suchen in ihren Träumen nach dir und deine Mutter hat keine Tränen mehr. Sie wuschen dich und wickelten dich in ein weisses Tuch; der Mollah sprach die heiligen Verse, die dem Vogel deiner Seele den Weg weisen sollten über den Pol Serat, diese wie die Schneide eines Messers hauchfeine Brücke, die unsere Welt mit dieser anderen dort verbindet, die noch niemand sah.

Leyla mein Liebling, mein Herz weint, während ich dir diese Zeilen schreibe. Wir alle gehören zu Gott und zu ihm kehren wir zurück, doch wie gerne möchte ich noch einmal dein helles Lachen, deine sanfte Stimme hören, deine perlschwarzen Augen sehen. Leyla mein Liebling, du fehlst mir.

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Ein wissenschaftlicher Vortrag


Der Höhrsaal der wissenschaftlichen Fakultät in der rue de Tolbiac ist kalt und leer. Vorne am Pult ordnet Maryam die letzten Papiere und überprüft die Funktionen des Projektors. Sie trägt einen langen, hellgrauen Mantel und dazu ein weinrotes Kopftuch. Ihr blasses Gesicht lässt keinerlei Regung erkennen. Was sie wohl fühlt? Gleich wird sie den Vortrag zu ihrer Doktorarbeit über Lasertechnik halten und einige der Jurymitglieder sind extra aus Australien angereist. Wenn ich selbst dort am Pult stehen müsste, wäre ich schon längst gestorben.

Wegen der Australier wird Maryam bei ihrem Vortrag Englisch sprechen. Ich verstehe nichts von Laserphysik und dann noch auf Englisch, da kommen eher noch Unklarheiten hinzu, als dass sie beseitigt werden. Siavosh scheint interessiert, zumindest betrachtet er aufmerksam die geheimnisvollen Symbole, die der Projektor an die Wand wirft, während sich meine Gedanken in der Metallstruktur der Trägerbalken unter der Decke verlieren.

Vor uns unterhält sich Maryams tunesische Kollegin mit einem anderen Mädchen, das ich nicht kenne, hinter uns ducken sich Mostapha und Farhad in ihrer Bank wie zwei Soldaten im Schützengraben. Sie erwecken dabei nicht wirklich den Eindruck, als ob sie das Thema des Vortrags besonders interessiert, ich bin ein bisschen erstaunt, dass sie bekommen sind, vor allem, da sich Mostapha und Maryam in letzter Zeit nicht gut verstehen, wie sie mir erklärt hat. Sowieso hatte ich nie das Gefühl, dass sich Mostapha besonders für seine Frau interessiert und was sie sonst noch so macht.

Als ich Siavosh erkläre, dass Maryam mit diesem untersetzten, stoppelhaarigen Greis verheiratet ist, der dreissig Jahre älter ist als sie, macht dieser zunächst ein Gesicht, als sei irgendwo hinten im Saal ein Geist aus einer der Fiolen entwichen, die dort im Regal stehen. Ich hätte vielleicht vorher etwas sagen sollen, aber ich hatte überhaupt nicht mit der Anwesenheit dieses Menschen hier gerechnet. Es ist sehr praktisch, dass Mostapha kein Persisch versteht, so kann ich Siavosh in Ruhe alles erklären, was er wissen muss.

Maryams Mutter und ihr Bruder sitzen am entgegengesetzten Ende des Saals und werfen uns und den übrigen Anwesenden ab und zu misstrauische Blicke zu. Beide sind sehr blass und wirken so, als ob sie sich hier nicht wohlfühlen, angeblich hat Maryams Mutter auch psychische Probleme.

Als Maryam mit ihrem Vortrag beginnt wird selbst Menschen mit geringen Kentnissen in Englisch und Laserphysik bewusst, dass sie ihr Thema bis ins kleinste Detail kennen muss, so selbstverständlich erklärt sie die komplizierten Vorgänge an der Tafel, fast möchte man sagen, die Ziffern und Formeln werden dort lebendig und formen ein klares und überschaubares Bild.

Am Ende gratulieren ihr die Jurymitglieder insbesondere zu ihrem pädagogischen Talent, allerdings klingt das alles ein bisschen hohl und nichtssagend. Jeder im Raum weiss genau, dass Maryam nie an einer Universität oder einer Hochschule unterrichten wird, wegen ihres Kopftuchs.

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Die Schätze des Orients


Die Schätze des Orients

Meine Schwiegereltern haben uns ein Päckchen haben uns ein Paket mit vielen wunderschönen Dingen geschickt, die man in Paris nicht oder nur sehr schwer findet und selbst wenn sind sie oft unbezahlbar. Unter anderem befinden sich in dem Paket Safran, schwarzer Tee, getrocknete Zitronen, Fruchtschnitten (Sauerkirsche und Aprikose), getrocknete Kichererbsen mit grünen Rosinen, Heilkräuter und Medikamente.

Am Abend haben wir Babak und Azizeh eingeladen (irgendwann mussten wir ihnen ja sagen, dass wir wieder im selben Stadtviertel wohnen).

Ich habe Ghorme Sabzi gekocht, das ist eine Art Eintopf aus Lammfleisch und Kräutern, dazu gibt es Reis. Babak und Azizeh haben zwei Flaschen Rotwein mitgebracht. Irgendwann gegen Mitternacht geht Babaks Handy, Nima, ihr Sohn ruft an, weil er keine Zigaretten mehr hat. Weil er keine Zigaretten mehr hat?! Ich denke daran, wie wir uns früher vor unseren Eltern versteckt haben, wenn jemand rauchte. Das das rauskam war so ungefähr das Schlimmste, was passieren konnte. Siavosh sieht ebenfalls erstaunt aus. Wie das wohl ist, wenn wir irgendwann selbst Kinder haben? Ob die dann auch nach Zigaretten fragen? Hoffentlich nicht…

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Die Wölfe


Je weiter man in Paris nach Nordosten geht, umso ärmlicher und schmutziger werden die Strassen, um so staubiger und baufälliger die Fassaden. Rund um den Boulevard Barbès bieten Wahrsager, Prostituierte und Drogendealer ihre Dienste an. Kleine schmutzige Läden drängen sich hier dicht aneinander wie schutzsuchende Tiere.

Hier findet man alle möglichen Dinge für den Haushalt, riesige Suppentöpfe, Dampfkochsiebe für Couscous, Holzlöffel, Mausefallen, Haarspangen, In vielen dieser Geschäfte gibt es inzwischen auch Smartphones und alles Mögliche Zubehör.

Auf den ersten Blick sehen diese Geschäfte hier genauso aus wie in Shiraz. In genau so einem Geschäft habe ich mir selbst ein Smartphone gekauft, viel besser und viel sympathischer als in den riesigen Shopping Malls, die es dort inzwischen auch gibt. Man kann mit dem Verkäufer reden, alle möglichen Produkte ausprobieren und sie sich von allen Seiten anschauen um sicherzugehen, dass es sich nicht um chinesische Fälschungen handelt, am Ende fragt man den Verkäufer nach dem Preis, sagt, dass man diesen Preis unter gar keinen Umständen bezahlen wird, kehrt dem Verkäufer den Rücken, dieser macht sogleich eine Reihe günstigere Preisvorschläge und schliesslich einigt man sich dann irgendwo in der Mitte.

Die Geschäfte hier in Barbès haben Plastiktresen entlang des Gewehgs aufgebaut, auf denen die neuesten Modelle ausliegen. Siavosh fragt einen der Männer, die in Turnschuhen und Kunstlederjacken hinter dem Tresen stehen, nach dem Preis für ein altes iPhone. „He Chef, was kost’n das?“ ruft einer in den hinteren Teil der Boutik. Der Chef ist dort gerade dabei, ein uraltes Blackbery auseinanderzunehmen. Ohne mit der Wimper zu zucken murmelt er: „169 Euro!“

„169 Euro!“ brüllt der in der Kunstlederjacke. Siavosh schüttelt ablehnend den Kopf: „Was, das ist ja viel zu teuer. Da hinten habe ich das gleiche Modell für 100 Euro gesehen.“ Das stimmt zwar nicht, aber man kann sich ja nicht gleich mit dem ersten Preis zufrieden geben.

Der in der Kunstlederjacke kratzt sich ratlos am Kinnbart: „Sag mal, wo kommst’n du her? Bist du Araber oder was?“

„Nein, Iraner.“

„Aha. Aber du sprichst arabisch, oder?“

„Nein, im Iran spricht man Persisch, das schreibt man mit der gleichen Schrift, ist aber trotzdem eine andere Sprache. Also, kann ich jetzt dein iPhone für 100 Euro haben oder nicht?“

„Nein wirklich? Aber du bist Moslem, oder?“

 So viel Gerede nur für ein Smartphone. Nicht mal im Iran ist das so kompliziert. Siavosh will wissen, ob man auch Skype auf dem iPhone installieren kann und der Verkäufer sagt, „ja klar, geht alles voll gut Bruder und übrigens Ahmadinejad ist voll cool! Ok, nimm das Teil für 110 Euro!“

Zuhause angekommen will Siavosh sein neues Smartphone gleich ausprobieren, allerdings funktioniert nichts, noch nicht einmal die ganz normale Internetverbindung. Ausserdem ist das Gerät auch sofort leer. Wenn man in Shiraz etwas gebraucht kauft, kann es zwar auch sein, dass nicht mehr alles funktioniert, aber man weiss zumindest vorher, was funktioniert und entsprechend kann man den Preis aushandeln. Aber an diesem Smartphone funktioniert nichts. „Das kann ja wohl nicht sein, dass bringe ich denen sofort zurück!“

Der Chef in der Boutik ist immer noch mit seinem Blackberry beschäftigt. Siavosh legt das iPhone auf den Plastiktresen wo immer noch der mit der Kunstlederjacke steht und Zigarettenrauch in die Gegend bläst. „Das habe ich gerade hier gekauft, aber es funktioniert nicht!“ Der Andere schaut ihn gelangweilt an. „Wie, funktioniert nicht, klar funktioniert das, gib mal her!“

Siavosh fühlt einen roten Zorn in sich aufsteigen. „Ich will dein Smartphone nicht, gib mir mein Geld zurück! Ich will mit deinem Chef sprechen, jetzt, sofort!“

Der Chef schlurft hinter seinem Tresen hervor, seine Augen sind rot und verschwollen, weil er den ganzen Tag Smartphones auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt hat. „Also heisst das, du gibst das zurück oder was?“ Seine Stimme ist heiser und ungehalten. „Ja genau, das sage ich doch schon die ganze Zeit!“ Der Chef blinzelt böse: „Sprich anständig mit mir! Wo kommst du überhaupt her?!“ Die anderen im Laden haben sich inzwischen um die beiden herumgruppiert und schauen neugierig. Siavosh funkelt den Chef hasserfüllt an: „Das habe ich eben alles schon Ihrem Verkäufer erzählt und ich habe keine Lust, dass noch einmal zu wiederholen. Also was ist, bekomme ich jetzt mein Geld zurück oder nicht?“

 Der Chef sieht aus, als wollte er ihn gleich erwürgen oder mit einem Schraubenzieher abstechen, aber schliesslich kramt er doch die 110 Euro aus einer Schublade hervor und wirft sie vor sich auf den Tresen. Immerhin ist Siavosh ein Bruder und der iranische Präsident eigentlich ganz cool. „Da nimm dein Geld und verschwinde!“

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Die Möglichkeit einer Insel


Die dunkle, feuchte Strasse führt entlang der aschefarbenen Fassaden ins Nirgendwo. Die Häuser in dieser Gegend sind winzig und geduckt wie scheue Tiere. Aus den Fenstern dringen Streitworte und Kindergeschrei. Von weit her dudelt ein Radio, jemand singt auf arabisch von Blumen und jungen Mädchen. Hinter dem Schaufenster einer Bäckerei wirbt ein vergilbtes Plakat in ungeschickter Handschrift für hausgemachten Couscous.

Siavosh bleibt vor einem Restaurant mit dem Namen AUX BECS SALES stehen (in Grossbuchstaben und ohne Akzente geschrieben, sodass man nicht genau wissen kann, ob das nun „salzig“ oder „schmutzig“ heissen soll). Es richt nach kaltem Zigarettenrauch und ranzigem Fett. Neben dem Eingang öffnet sich eine schmale Passage, notdürftig erhellt durch einen kleinen, violetten Lampion. Siavosh zieht einen kleinen, zerknüllten Zettel aus seiner Jackentasche, das muss die richtige Adresse sein, auch wenn die Hausnummer vor lauter Schmutz kaum zu entziffern ist. Einen Türcode gibt es hier nicht, dafür einen runden Klingelknopf, der einen schrillen Ton erzeugt. Zunächst bleibt es einen Augenblick still. Dann sind von innen langsame, schlurfende Schritte zu hören.

Die Tür öffnet sich knirschend und ein kräftig gebauter, etwas untersetzter Mann mit rotem Bürstenhaarschnitt schaut Siavosh aus eisblauen Augen unverwandt an. In seinem Mundwinkel hängt eine halbaufgerauchte Zigarette. „Also Sie sind der Praktikant, der sich auf meine Anzeige gemeldet hat, oder was? Na dann kommse mal rein.“ Er hat einen unangenehmen Zug um den Mund und erinnert Siavosh ein wenig an einen wütenden Igel.

Durch einen schlecht beleuchteten, mit Kokosfasrematten ausgelegten Flur gelangen sie in ein kleines Zimmer, vollgestopft mit Ölbildern und Skulpturen. Die meisten davon stellen erotische Szenen dar. Auf einer grossformatigen Leinwand sieht man einen kleinen alten Mann mit gequältem Gesichtsausdruck am Boden kriechen, auf seinem Rücken eine dralle Frau mit Peitsche, das Ganze in Acryl.

Der Igel lächelt zum ersten Mal: „Wie Sie sehen bin ich Künstler. Gefallen Ihnen meine Werke? Na ist ja auch egal. Ich bin übrigens auch Schriftsteller. Habe auch schon ein paar Bücher veröffentlicht, also nicht bei einem Verlag, selbst veröffentlicht, Sie verstehen… Nun brauche ich jemanden, der mir eine Webseite konstruiert, damit Ich diese Bücher übers Internet vermarkten kann. Zufällig habe ich hier gerade einige Exemplare, vielleicht wollen Sie mal einen Blick darauf werfen?“

Daraufhin reicht er Siavosh einen Stapel Bücher, jedes in einer anderen Farbe und mit seltsamen Titeln, unter denen man sich nur schwer etwas vorstellen kann: Pausensnack, Gutbürgerliches Menü, Zeitungskiosk, Eselsbrücke. Siavosh nimmt das letzte Buch und öffnet es irgendwo in der Mitte.

GEHEIME ZUFLUCHT. Tipps und Tricks für Zweitwohnsitze. Sie ersticken an Ihrem Eheleben? Sie haben innerliche und äusserliche Platzangst und geraten ständig aneinander? Warten Sie nicht tatenlos ab, bis das unvermeidliche geschieht, ziehen Sie hinaus aufs Land und atmen Sie die Frische Luft der Wiesen und Blumen. Die freie Natur ist ein Ort der Entspannung und mehr als dass, ein Ort der Belebung und des Erstarkens der Gefühle, Sie schenkt Ihnen die Energie, die Sie so dringend brauchen, führt Sie in den geheimen Garten ein, von dem Sie stets träumten, bietet Ihnen die Gelegenheit für neue Abenteuer und, wichtiger als alles, senkt den Mantel der Stille über das Geschehene.“

Siavosh klappt das Buch zu und schaut sich gedankenverloren im Zimmer um. Sein Blick fällt auf ein gerahmtes Foto in einem der Regale. Ein lachender kleiner Junge mit roten Locken ist darauf zu sehen. „Mein Sohn“, sagt der Igel erklärend. „Seine Mutter und ich leben getrennt. Meiner Meinung nach ist Treue etwas, das der Natur des Menschen zutiefst widerspricht, oder was meinen Sie? Sind Sie verheiratet? In Ihrem Land darf man ja glaube ich auch mehrere Frauen haben.“

Siavosh antwortet ihm, dass er zur Zeit mit nur einer Frau verheiratet ist, aber der Igel hört ihm gar nicht zu, sein Blick gleitet träumerisch ins Leere. „Wissen Sie, manchmal träume ich von einer Insel. Einer Insel, auf der nichts verboten ist. Natürlich gibt es einen Haufen Weiber auf der Insel und man kann alles mit ihnen machen, sie schlagen, sie vergewaltigen, ihnen auf den Kopf kacken, alles ist erlaubt. Sagen Sie mir, was halten Sie davon?“

Siavosh denkt kurz nach und fragt dann: „Sagen Sie, tut Ihnen das eigentlich weh, von Dingen zu träumen, die sich nie realisieren lassen? Was tun Sie, um mit Ihren Gedanken klarzukommen?“

Der Igel schaut ihn an, als hätte er sich gerade wieder daran erinnert, dass da wirklich eine andere Person mit ihm im selben Raum ist. Dann bleckt er die zigarettengelben Zähne zu einem gequälten Lächeln: „Die Hoffnung ist der Brennstoff, mit dem die Menschen weiterleben.“

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Die Sandrose


Mehrdad ist ein Studienkollege von Siavosh. Vor mehr als 10 Jahren studierten beide an der Universität von Ahwaz und teilten sich ein Zimmer im Studentenwohnheim. Mehrdad war damals ein sehr unangenehmer Kamerad mit unverständlichem Humor, der es liebte, andere für Kleinigkeiten zu kritisieren oder jemanden bei der Wohnheimleitung zu melden, weil derjenige heimlich Alkohol mit aufs Zimmer gebracht hatte. Siavosh hätte nie gedacht, dass er Mehrdad eines Tages wiedersehen würde, schon gar nicht in Paris.

Heute abend sind Mehrdad und seine Freundin bei uns eingeladen, ich bin ein bisschen erstaunt über den Begriff „Freundin“, denn angeblich gehört Mehrdad zu den religiösen Menschen, für die unverheiratet zusammenleben eine Schande ist.

Es klingelt an der Tür und Mehrdad und seine Freundin kommen herein. Die Freundin heisst Leyla und ist sehr schön. Ihre Haut sieht ein bisschen so aus wie feines Porzellan, dichte schwarze Locken fallen ihr in Wellen auf die Schultern. Sie studiert Architektur in Nanterre. Mehrdad selbst sieht gar nicht religiös aus, zumindest hat er keinen Bart und ist enttäuscht, dass es zum Essen keinen Wein gibt, ich habe Reis mit Kräutern und gegrilltem Huhn zubereitet und dazu Apfelsaft gekauft, um keinen schlechten Eindruck zu erwecken.

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„Seit ich in Europa lebe, sehe ich die Dinge mit anderen Augen. Die Religion hat keine Bedeutung mehr für mich, heiraten auch nicht.“ Leyla wirft ihm einen zweifelnden Blick zu, sie sieht fast ein bisschen enttäuscht aus. Es ist erstaunlich, wie sehr ein Land uns verändern kann, womöglich habe auch ich mich im Iran verändert, ohne dass ich selbst diese Veränderung wahrnehme. Ich denke an meinen ehemaligen Lateinlehrer, den ich vor unserer Reise nach Iran zufällig einmal bei einem Besuch in Deutschland traf und der mir mit düsterer Mine verkündete, mein Mann werde sich im Iran verändern, ich werde das schon sehen. 

Mehrdad führt seinen Gedanken fort: „Also jedenfalls glaube ich nicht mehr, ich habe entschieden, dass das in meinem Leben nicht mehr wichtig ist.“

„Aber warum?“ Siavosh stellt diese Frage, als habe er alles Mögliche von Mehrdad erwartet, nur nicht das.

„Als ich jung war, habe ich aus Angst geglaubt. Und jetzt denke ich, dass das nicht das Richtige war. Man darf sein Leben nicht von der Angst auffressen lassen. Sagt mal, ist das dahinten ein Gebetsteppich? Und ein Tschador?!“

„Das gehört mir nicht“, entgegnet Siavosh eilig und Leyla und ich müssen laut lachen, als wir uns Siavosh in diesem blauweissgeblümten Tschador vorstellen.

Soll man aus Angst den Freund zurückweisen, den unser Herz so lange suchte? Soll man der Seele den Zugang zu den erhabenen Gefielden verwehren, nur weil uns falsche Krieger auf diesem Weg bedrohen und Tod und Verderben predigen? Sie haben das Licht der Wahrheit mit Finsternissen zugedeckt und unsere Herzen erblinden lassen. Die freie, westliche Welt bietet uns so viele neue, andere Möglichkeiten, aber etwas stirbt in ihr, etwas, das nur unter der brennenden Wüstensonne bestehen kann. Wie eine Sandrose, zerbrechliche Schönheit aus Staub und Wind.

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Sie ist weg


Sie ist weg

Es regnet. Das Zimmer füllt sich mehr und mehr mit Dunkelheit. Draussen gehen eine nach der anderen die Strassenlaternen an. „Vielleicht sollte man sie anrufen? Nur um zu wissen, ob alles in Ordnung ist?“ zögernd greift Siavosh zum Telefon. Am anderen Ende nimmt niemand ab.

Wir schauen uns an, in diesem seltsam stillen Raum, dann versucht Siavosh es noch einmal. „Ja, was?“ Irgendwo von weit her dringt eine schwache Stimme zu uns.

„Sorour! Wo bist du?“

„Draussen.“

„Was draussen, hast du deinen Kram geregelt?“

„Regeln, was regeln, niemand hat gesagt, dass ich was regeln soll.“

Es ist zum Verrücktwerden, aber wenigstens ist sie lebendig, irgendwo da draussen.

„Ich meine, hast du einen Schlafplatz gefunden?“

„Ach so, dass… ja kein Problem, macht euch keinen Kopf…!“

Damit wäre die Sache dann wohl erledigt, ich kann dieses Kapitel abschliessen und ihren Namen und ihre Telefonnummer aus meinem Handy löschen.

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